Religionen im Orient

Islam, Judentum und Christentum sind die vorherrschenden Religionen im Orient und haben eine gemeinsame Heimat. Die drei großen Weltreligionen entstanden alle im sogenannten „Vorderen Orient“ – das entspricht in etwa der Region, die wir heute als „Naher Osten“ bezeichnen. In Ländern der Arabischen Halbinsel, der Levante (Israel, die palästinensischen Autonomiegebiete Gaza und Westjordanland, Syrien und Jordanien) und in Nordafrika findet sich heute ein buntes Mosaik aus verschiedensten Religionen. In vielen Staaten prägt der Islam in seinen unterschiedlichen Ausrichtungen das Alltagsleben am stärksten. Sunniten und Schiiten, Christen und viele andere Religionsgemeinschaften müssen Wege finden, mit- und nebeneinander zu leben. Der bunte Flickenteppich an Religionen im Orient und die Auswirkungen von Konflikten prägen den Nahen Osten gestern wie heute.

Jerusalem

In Jerusalem, wo mit der Klagemauer, dem Felsendom und der Grabeskirche Heiligtümer aller drei monotheistischer Religionen stehen, zeigt sich das Konfliktpotential seit Jahrzehnten auf kleinstem Raum. Insgesamt betrachtet, verteilen sich die Religionen im Nahen Osten folgendermaßen: Die Muslime machen rund 89 Prozent aus, zu den Christen zählen etwa 4,6 Prozent. Juden sind mit etwa 4 Prozent, Hindus mit 1, 2 Prozent zu finden. Hinzu kommen noch kleinere Gruppierungen wie Buddhisten und lokal begrenzte ethnische Religionen. Je nach Land sieht diese Zusammensetzung unterschiedlich aus – je nachdem, wie Geschichte und Entwicklung dort verlaufen sind.

Der Nahe Osten: Wiege der Religionen im Orient

Kuwait und Katar, Israel und Syrien, Ägypten und auch die Türkei: Diese vielfältigen und in vielem so unterschiedlichen Länder werden zum Nahen Osten gezählt. Kulturell und religiös sind sie alle hauptsächlich vom Islam geprägt, doch daneben existierten zahlreiche andere Glaubensrichtungen. Auch der Islam selbst ist in verschiedene Auslegungen aufgeteilt. Seit Tausenden von Jahren pflegen die Menschen rund ums Mittelmeer, in Nordafrika und entlang der Seidenstraße Handelsverbindungen. So entstand auch ein Austausch von Wissen, Techniken und kulturellen Einflüssen. Im Irak betrachtet man das mesopotamische Reich als die Wiege der eigenen Geschichte, in Syrien gelten die Assyrer als Ausgangspunkt, in Ägypten die Pharaonen und ihre Hochkultur. Spuren des persischen Reiches sind bis heute im Alltag des Irans erhalten, etwa in ihrem Kalender. So unterschiedlich, wie ihre Ursprünge, sind auch die Entwicklungen im Laufe der Jahrhunderte. Das Ergebnis der wechselvollen Geschichte der Region sind Völker und Glaubensrichtungen, die nicht immer friedlich miteinander leben. Kirchliche Auseinandersetzungen sorgten etwa für die Teilung der christlichen Kirche in Orthodoxe und Katholiken. Ab dem 7. Jahrhundert n. Chr. begann die Ausbreitung des Islams über jene Gebiete, die wir heute als die arabische Welt kennen. Bis nach Portugal und Spanien und nach Zentralasien wurde der neue Glaube getragen. 

Die arabische Sprache diente bei der Verbreitung des Islam als Grundlage, um unterschiedlichste Bevölkerungsgruppen miteinander zu verbinden. Zusammen mit der Religion brachte der Islam auch seine eigene Kultur mit, die sich mit den Bräuchen und Gewohnheiten vor Ort vermischte. Manche Völker behielten ihre eigene Sprache, obwohl Arabisch als Verwaltungssprache diente, etwa die Berber und die Kurden. Aramäische, syrische oder koptische Glaubensgemeinschaften pflegten in der Ausübung ihrer Religionen alte Liturgiesprachen, die im Alltag keine Rolle mehr spielten. In den Vorschriften des alltäglichen Lebens vermischten sich viele Traditionen, etwa für die Bekleidung oder im Familienrecht. 

Sunniten und Schiiten

Als der islamische Prophet Mohammed 631 starb, hinterließ er keine deutliche Nachfolgeregelung. Hieraus entstand Konfliktpotential: Seine Gemeinde teilte sich in die sunnitische und die schiitische Glaubensrichtung. Die einen bezogen sich auf Brauchtum und Tradition ( arabisch „sunna“), sie wollten den Nachfolger wählen. Diese Gruppe wurde zu den heutigen Sunniten. Bis heute hat diese Trennung Einfluss auf die Geschichte islamischer Staaten, auf die tägliche religiöse Praxis allerdings kaum. Stattdessen wirkt sich der Konflikt etwa auf die Beziehungen zwischen dem hauptsächlich schiitischen Iran und dem Königreich Saudi-Arabien aus, das sunnitisch geprägt ist. 

Die Sunniten beziehen sich auf die Hadith-Werke, die das Wirken Mohammeds auslegen und aus deren Erzählungen die Rechtsfindung abgeleitet wird. Heute teilt sich die sunnitische Richtung in vier „Rechtsschulen“, die auch in der religiösen Praxis kleinere Unterschiede haben. Außerdem gibt es den Sufismus, eine Art mystischer Islam, der ebenfalls in mehrere Richtungen aufgeteilt ist. Obwohl diese Richtung eigentlich zur sunnitischen Richtung gehört, hat er einige Gemeinsamkeiten mit der schiitischen Glaubensauslegung – daraus sind bereits wiederholt Konflikte mit sunnitischen Fundamentalisten entstanden. 
Bei den Schiiten gilt Ali, Ehemann der Prophetentochter Fatima, als legitimer Nachfolger des Propheten. Nur seine Nachfahren sind demzufolge berechtigt, Imam zu sein und die religiöse Gemeinschaft zu leiten. Auch der schiitische Islam teilte sich in verschiedene Richtungen, je nachdem, wie die Reihe der nachfolgenden Imame interpretiert wurde. Neben der größten Gruppe, der Zwölferschia, gibt es kleinere Gruppierungen wie die Aleviten und Ismailiten in der Türkei oder die jemenitischen Zaiditen. Ungefähr 10 bis 20 Prozent aller Muslime gehören heute zu den schiitischen Gruppen – sie sind deutlich in der Unterzahl und mussten im Laufe der Jahrhunderte die Herrschaft sunnitischer Kalifen akzeptieren. Im Irak, in Bahrain und dem Iran sind sie in der Mehrheit, in Saudi-Arabien, Syrien und dem Libanon leben sie als Minderheiten. 

Der Islam liefert seinen Anhängern zahlreiche Anleitungen und Verhaltensregeln für Alltag und menschliches Zusammenleben. Zu Konflikten führt immer wieder die Frage, ob und in welcher Form die überlieferten Schriften ausgelegt werden sollen. 
Die alltäglichen Konsequenzen eines bunt gemischten Volkes aus verschiedensten Religionen zeigt sich besonders ausgeprägt im Libanon. Hier leben 18 islamische und christliche Konfessionen in einem Staat zusammen – mit unterschiedlichen Gesetzen und Regelungen. Auf muslimischer Seite gibt es Sunniten, Schiiten, Alawiten, Drusen und Ismailiten. Die christlichen Gruppierungen teilen sich in griechisch-orthodox, armenisch-orthodox, römisch-katholisch, protestantisch, syrisch-orthodox und einige mehr. Staat und Religion sind nicht voneinander getrennt, und so gibt es z.B. kein einheitliches Eherecht. Deshalb sind Ehen zwischen Angehörigen verschiedener Glaubensrichtungen erschwert. Die Fülle dieser Glaubensrichtungen innerhalb eines vergleichsweise kleinen Staates zeigt, wie komplex und oft schwierig die Frage des Zusammenlebens ist.